RÉSUMÉ
In der Geschichte des modernen Tanzes in Europa ist die gesellschaftlich-politische Seite zugunsten der rein ästhetischen Definition tendenziell vernachlässigt worden. Aber auch die künstlerischen Ideale könnten bereits auf eine Weise gesellschaftlich determiniert sein, die eine Trennung der ästhetischen von der gesellschaftlichen Dimension des modernen Tanzes überhaupt problematisch erscheinen lässt. Womöglich stellt gerade der Versuch, die gesellschaftlichen Kontexte auszublenden, viel eher einen Verrat am Wesenskern der (Tanz-)Kunst dar als der umgekehrte Vorgang. Denn Tanz thematisiert die Grenzen das Möglichen. Deswegen kommt ihm im modernen Gesellschaftsbild eine künstlerisch und ästhetisch privilegierte Rolle zu. Aber er setzt sich damit immer auch in besonderem Maße dem Risiko der kritischen Gewalt aus. Diese Überlegungen nimmt Franz Anton Cramer zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung des Zusammenhangs von gestalterischer Vielfalt und autoritativer Vereinnahmung, von künstlerischer Weite und begrifflicher Enge des modernen Tanzes, und zwar am Beispiel der Tanzkultur in Frankreich zwischen 1930 und 1950. Auf der Grundlage einer Vielzahl von Quellentexten – u.a. von Louis Séchan, Roger Lannes, Raymond Bayer, Jérôme Bouxviller oder Gaston Bachelard – wird nachgezeichnet, wie in steter Auseinandersetzung mit den totalitären Denkformen und beseelt von einem humanistischen Ethos ein zukunftsweisendes Nachdenken über Tanz und seine Bedingungen, über den Zusammenhang von Vielfalt und Eintracht, Technik und Kunst, Methode und Erkenntnis entstand. Dabei wurde eine Konzeption der schöpferischen Freiheit entwickelt, die bis heute kulturpolitisch wirksam bleibt. Gestaltung und Präsentation des Bandes sollen die Vielschichtigkeit des Untersuchungsgegenstandes auch visuell fortführen. Das Buchprojekt wird im Rahmen von Tanzplan Deutschland gefördert. Tanzplan Deutschland ist eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes.